GUTACHTEN
in der Sache der Anerkennung der durch den Geschädigten getragenen schadensrelevanten Kosten im Zusammenhang mit der Feststellung des Schadensumfangs nach Maßgabe des polnischen Rechts
Aufgrund eines Verkehrsunfalls mit einem grenzüberschreitenden Charakter, der sich in Polen ereignet hat, erwies es sich als notwendig im Zusammenhang mit der Geltendmachung des Schadens vor einem deutschen Gericht die Fragen zu beantworten, ob die Kosten der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, das die Höhe der Festsetzung der Kosten der Entschädigung (Berechnung der Kosten der Fahrzeugreparatur) zum Gegenstand hat, die Kosten der Vertretung des Geschädigten durch einen Rechtsanwalt in der vorgerichtlichen Phase, die Wertminderung sowie Nutzungsausfall als auch die Kostenpauschale nach dem polnischen Schadenersatzrecht im Rahmen des Liquidationsverfahrens erstattungsfähig sind?
Gesetzesgrundlagen
Für die Zwecke der Erstellung dieses Gutachtens haben wir insbesondere folgende Rechtsakte durchgesehen und analysiert:
- Zivilgesetzbuch von 23.04.1964 (Gesetzblatt von 2020, Pos. 1740 mit späteren Änderungen, weiter: „ZGB“ genannt );
- Gesetz von 05. 2003 über Pflichtversicherungen, Garantieversicherungsfond und polnisches Büro KfZ- Versicherungen (Gesetzblatt von 2021, Pos. 854 mit späteren Änderungen, weiter „UUO“ genannt)
- Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht von 04.05.1971, abgeschlossen in den Haag (weiter „Haager Übereinkommen“ genannt)
Rechtliche Würdigung
- Anzuwendendes Recht und Schadensbegriff
Zu Beginn soll festgehalten werden, dass polnisches Recht auf den vorliegenden Fall gemäß Art. 3 des Haager Übereinkommens anwendbar ist, weil sich der Unfall in Polen ereignet hat. Nach Artikel 361 § 1 und §2 ZGB trägt die zum Ersatz des Schadens verpflichtete Person die Haftung für normale Folgen des schadensauslösenden Handelns bzw. des Unterlassens. Der Ersatz des Schadens umfasst die Verluste, die der Geschädigte erlitten hat sowie Vorteile, die er erzielen konnte, wenn es zu dem schädigenden Ereignis nicht gekommen wäre, es sei, dass sich aus dem Gesetz oder dem Vertrag etwas anderes ergibt.
Vorliegend haben wir mit einem Sachverhalt zu tun, dem eine zivile Haftungsversicherung aufgrund eines Versicherungsvertrages zugrunde liegt. In Ergänzung ist hier die Bestimmung des Art. 15 Abs. 1 UUO von Bedeutung, wonach eine Versicherungsanstalt – im Rahmen einer Versicherungsdeckungssumme – verpflichtet ist, dem Versicherten die durch die Umstände des Falles begründeten Kosten zwecks Verhinderung der Erhöhung des Schadens zu erstatten. In diesen Grenzen obliegt es jeder Versicherungsanstalt auch die Pflicht, die erforderlichen Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren sowie die Kosten der Vertretung in einem Zivilverfahren auf Antrag bzw. mit Zustimmung der Versicherungsanstalt zu übernehmen.
- Schadensbegriff – Auslegung
Die oben zitierte Vorschrift des Art. 361 § 1 ZGB bestimmt den Kausalzusammenhang zwischen dem Tun bzw. Unterlassen des zum Schadenersatz Verpflichteten und dem Eintritt des Schadens als eine notwendige Voraussetzung für die Schadenshaftung. Dieser Zusammenhang ist als eine objektive Verknüpfung zwischen der Ursache und der Folge zu verstehen,. Nach dem Konzept eines adäquaten Kausalzusammenhang werden alle normalen Folgen einer Ursache als adäquat angesehen, die keine zeitlich „unmittelbaren“ Geschehnisse zu sein brauchen (vgl. Urteil des Polnischen Obersten Gerichts von 26.02.2021, I CSKP 107/21, Urteil des Berufungsgerichts in Warschau von 04.02.2021,V Aca 461/20). Die Frage, ob wir vorliegend mit einer normalen Folge zu tun haben, hängt vielmehr von der Gesamtwürdigung des Sachverhalts und den Grundsätzen der Lebenserfahrung abhängen ( vgl. Urteil des Obersten Gerichts von 02.08.1956, 3 CR 515/56, T. Wisniewski in (…) Zivilgesetzbuch. Kommentar, Bd. IIII. Verpflichtungen. Allgemeiner Teil, II Ausgabe, J. Gudowski (hrs.) Warschau 2018, Kommentar zu Art. 361, Zagrobelnz (in:) Zivilgesetzbuch. Kommentar, 10. Ausgabe , E. Gniewek (Hrs.) P. Machnikowski (Hrs.) Warschau 2021, Kommentar zu Art. 361).
Aus § 2 dieses Artikels folgt, dass der Ersatz des Schadens erstens eine vollständige Kompensation des erlittenen Verlustes sicherstellen und diese Kompensation nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten führen soll. Die Entschädigung soll daher innerhalb der durch einen normalen Kausalzusammenhang gezogenen Grenzen verbleiben. Der Kausalzusammenhang hat daher zwei Funktionen, zum einen entscheidet darüber, ob eine Person überhaupt schadenersatzpflichtig ist und zum anderen bestimmt die Haftungsgrenzen (vgl. z. B. das Urteil des Obersten Gerichts von 09.03.2021, I NSNc 90/20, Urteil des Berufungsgerichts in Stettin von 19.11.2020, I Aga 61/20).
Der Grundsatz einer vollen Kompensation – eines vollständigen Ersatzes des Schadens, der in Art. 361 § 2 ZGB verankert ist, umfasst die durch den Geschädigten erlittenen Verluste (damnum emergens) – d.h. Herabminderung seiner Aktivposten oder Erhöhung der Passivposten als auch die Vorteile, die der Geschädigte erzielt hätte, wenn er nicht beschädigt wurde (lucrum cessans) (vgl. Urteil des Obersten Polnischen Gerichts von 09.03.2021, I NSNc 90/20).
Es soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass der Schadensbegriff in der Regel ziemlich weiter ausgelegt wird. Um jedoch zu beurteilen, ob eine bestimmte Ausgabe im konkreten Fall als erforderlich anzusehen ist, soll in erster Linie danach beurteilt werden, ob diese Ausgabe eine Beeinträchtigung in der Vermögensphäre oder einen verlorenen Vorteil bildet und ob zwischen ihr und dem Tun bzw. Unterlassen des zum Ersatz des Schadens verpflichtenden Person ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.
Die obigen Ausführungen und Grundsätze finden auch im gleichen Umfang auf die Verantwortung von Versicherungsanstalten entsprechende Anwendung. Die oben genannten UUO-Normen präzisieren allerdings diese Haftung, wonach jede Versicherungsanstalt nicht nur zur Auszahlung der Entschädigung verpflichtet ist, sondern auch die Kosten übernehmen soll, welche mit der Feststellung der Haftung und der Schadensliquidation im Zusammenhang stehen. Dazu rechnen vor allem die notwendigen Ausgaben des Versicherungsnehmers zwecks Erfüllung der aus dem Versicherungsvertrag resultierenden Pflichten, Kosten der Sachverständigen, Kosten der Verteidigung gegen die Ansprüche von Dritter darunter die Kosten des Gerichtsverfahrens unter der Voraussetzung, dass der Streit auf Antrag oder mit Zustimmung der Versicherungsanstalt geführt wurde (vgl. M. Serwach (in:) D. Fuchs, D. Masniak, J. Nawracala, M. Serwqach , Kommentar zu UUO (in:) Recht der Wirtschaftsversicherungen Bd. I, Kommentar, Ausgabe II, Warschau 2010, Kommentar zu Artikel 15).
- Kosten der Erstellung eines Sachverständigengutachten
Die oben angestellten Überlegungen gestatten die Annahme, dass die Kosten der Erstellung eines Sachverständigen über die Umstände des Schadenseintritts sowie die Festsetzung der Höhe der Entschädigung (darunter die Berechnung der Kosten der Fahrzeugreparatur) aus drei Gründen zum erstattungsfähigen Schadensposten gehören:
Erstens unterliegt es keinem Zweifel, dass diese Ausgabe an sich in der Gestalt der Zahlung der Kosten eines Gutachtens einen Verlust in dem Vermögen des Geschädigten darstellt. Bei diesem Betrag handelt es sich um das Geld, das der Geschädigte ausgeben muss und infolgedessen seine Vermögensmasse herabgemindert wird.
Zweitens ist die Bestimmung des Umfangs des Schadens, den der Geschädigte davon getragen hat, meistens mit einem Aufwand verbunden. Denn der Geschädigte verfügt über kein Fachwissen, um die Höhe der gebührenden Entschädigung alleine festzustellen. Im Falle eines Verkehrsunfalls handelt es sich um die Bestimmung der Reparatur des geschädigten Fahrzeugs oder Kosten der ärztlichen Behandlung und der Rehabilitation (damnum emergens). Der Geschädigte ist auch nicht imstande, die verlorenen Vorteile zu identifizieren (lucrum cessans). Daher bedarf die Feststellung des Schadensumfangs eines Sonderwissens, das nur die Sachverständigen haben.
Drittens steht die Notwendigkeit der Tragung solcher Ausgaben in einem adäquaten Zusammenhang mit dem schadenauslösenden Ereignis. Die Feststellung der Ursachen des Schadens in Bezug auf die Verkehrsunfälle, bei denen die Verantwortung für ihre Verursachung durch die Verkehrsteilnehmer oft negiert wird, ist daher von hoher Wichtigkeit. Die Tragung solcher Kosten stellt daher eine normale Folge eines schadensbegründeten Ereignisses dar.
Die obige Meinung wurde auch in der polnischen Rechtsprechung bestätigt (vgl. Beschluss des Obersten Polnischen Gerichts von 02.09.2019 III CZP 99/18, Urteil des Berufungsgerichts von 19.09.2019, I Aca 1027/18).
- Die Kosten der Vertretung des Geschädigten in einem Liquidationsverfahren durch einen Rechtsanwalt als Schadensposten
Es soll zu Beginn angemerkt werden, dass die Auffassung über die Anerkennung der Kosten der Vertretung des Geschädigten in der Phase der Liquidation durch einen Rechtsanwalt im Laufe der Zeit geändert wurde. Am Anfang unterlag es keinem Zweifel, dass diese Kosten eine Ausgabe darstellen, weil sie einen Verlust im Vermögen des Geschädigten herbeiführen (damnum emergens) und daher einen erstattungsfähigen Schadensposten bilden. Diese Auffassung wurde vor allem in der polnischen Rechtslehre überwiegend vertreten, wonach die Kosten der Vergütung eines Rechtsanwalts des Geschädigten in der vorgerichtlichen Phase durch den Umfang der Entschädigung gedeckt sind, die von der Versicherungsanstalt zu erstatten sind (vgl. M. Serwach (in:) D. Fuchs, D. Masniak, J. Nawracala, M. Serwach, Kommentar. Anmerkung zu Art. 15, E. Kowalewski, Glosse zu dem Urteil des Obersten Gerichts von 11. Juni 2001, V CKN 266/00, OSP 2002, Nr. 3, Pos. 40). In der Judikatur wurde dagegen auf das Fehlen eines normalen Kausalzusammenhanges zwischen der gegenständlichen Ausgabe und dem Tun bzw. Unterlassen des Unfallverursachers eines schadensauslösenden Verkehrsunfalls hingewiesen (vgl. z. B. Urteil des Obersten Polnischen Gerichts von 11.06.2001, V CKN 266/00, Urteil des Obersten Polnischen Gerichts von 07.08.2003, CKH 387/01).
Die obige Auffassung hat jedoch an Aktualität wegen der Änderung der Rechtslage verloren. Sie wurde aufgrund von nicht mehr geltenden Gesetzesvorschriften präsentiert (vgl. Urteil des Berufungsgerichts in Krakau von 19.09.2019, I Aca 1027/18). Trotzdem gibt es noch nach wie vor Fälle, in denen die Versicherungsanstalten sich auf die obige (alte) Rechtsprechung berufen, obwohl die herrschende Meinung diese Fragen nun anders beurteilt. Die aus 7 Richtern bestehend Kammer des Obersten Gerichts hat am 13.03.2021 einen Beschluss gefasst (vgl. III CZP 75/11), wonach die begründeten und notwendigen Kosten eines Rechtsanwalts, die durch den Geschädigten in der vorgerichtlichen Phase innerhalb eines durch eine Versicherung geführten Verfahren gezahlt wurden, im konkreten Einzelfall einen Vermögensschadensposten darstellen können, die durch die Versicherung im Rahmen der zivilen Haftpflichtversicherung der mechanischen Fahrzeuge zu erstattet ist (Art. 36 Abs. 1 UUO, vgl. auch das Urteil des Berufungsgerichts in Krakau von 19.09.2019, I Aca 1027/18).
Folglich ist es legitim, in dem auszuzahlenden Entschädigungsbetrag auch die Vertretungskosten eines Rechtsanwalts im Liquidationsverfahren mit zu berücksichtigen. Nach dem gegenständlichen Beschluss der Kammer des Obersten Gerichts sollen dabei die Umstände des Einzelfalles in Erwägung gezogen werden. Nach der Rechtsprechung sind das u. a. die Dauer des Verfahrens, die aktive Rolle des Rechtsanwalts bei der Geltendmachung des Schadens (vgl. Urteil des Berufungsgerichts in Posen von 11.10.2012, I Aca 727/12, Urteil des Berufungsgerichts in Krakau von 19.09. 2019 , I Aca 1027/18). Die Erstattung der Kosten eines Rechtsanwalts in grenzüberschreitenden Verkehrsfällen ist insbesondere aus zwei Gründen geboten: Sprachbarriere des Geschädigten und seine Handhabung durch den Rechtsanwalt vor Ort und die Kenntnis des Verlaufs des (vorgerichtlichen) Liquidationsverfahrens in dem Lande durch den Rechtsanwalt, in dem die Entschädigung von der Versicherung begehrt wird.
- Wertminderung des Fahrzeugs und Nutzungsausfall infolge des Unfalls
Es ist auch anerkannt, dass die beiden Posten, d.h. die Wertminderung des Fahrzeugs sowie der Nutzungsausfall als erstattungsfähige Posten im Rahmen des Liquidationsverfahrens gelten. Die obige Auffassung wurde auch in der ständigen Rechtsprechung mehrmals bestätigt (vgl. Beschluss des Obersten Gerichts von 22.11.2013, III CZP 76/13, Urteil des Obersten Polnischen Gerichts von 05.11.2004, II CSk 494/03, Urteil des Obersten Polnischen Gerichts von 08.09.2004, IV CSK 672/03). Die obige Meinung wird auch in der Lehre befürwortet (vgl. T. Szczurowski, Glossa zu dem Beschluss des Obersten Gerichts von 17.11.2011, III CZP, Monitor Prawniczy 2012, Nr. 9 und die dort aufgeführte Literatur).
- Kostenpauschale
Der Posten der „Kostenpauschale“ wird dagegen als erstattungsfähiger Schadensposten nach dem polnischen Schadenersatzrecht nicht anerkannt. Dies rührt insbesondere davon her, weil dieser Posten ohne Bezug zu dem eingetretenen wirklichen Schaden abstrakt und von vornherein als gegeben gesetzt wird. Dies widerspricht dem Wesen der polnischen Schadenslehre.
Schlussfolgerung
Als Ergebnis unserer Stellungnahme ist es festzuhalten, dass die Kosten der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, Kosten der Vertretung des Geschädigten durch einen Rechtsanwalt in der vorgerichtlichen Phase, die Wertminderung sowie Nutzungsausfall als die Kostenpauschale nach dem polnischen Schadenersatzrecht im Rahmen des Liquidationsverfahrens erstattungsfähig sind, obwohl auch hier die Umstände des Einzelfalls insbesondere bei der Würdigung der Kosten eines Rechtsanwalts zu berücksichtigen sind. Die sog. Kostenpauschale gehört dagegen nicht zum erstattungsfähigen Schadensposten.